Thomas Mann

Reisen

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Die Josephsromane von Thomas Mann – wo könnte man Sie sich besser vor Augen führen, besser erfahren als vor Ort im Nahen Osten? Bereits vor einigen Jahren waren wir auf Josephs und Thomas Manns Spuren in Ägypten gewesen – von Kairo bis Assuan mit seiner Hungerstele, dem in Ägypten einzig greifbaren Zeugnis von Joseph. In diesem Frühjahr nun Israel und Jordanien. Ganz anders als bei den sehr ausgiebigen Recherchen in Ägypten hat Thomas Mann nur wenige Tage in Palästina verbracht. Eine Spurensuche muss sich daher an seinem literarischen Werk und an den überlieferten Traditionen des Judentums und des Islam orientieren. Umso wichtiger: die richtigen Begleiter – Prof. Dr. D. Borchmeyer als literarischer Reiseleiter, dazu Gesprächspartner und Guides aus jüdischem wie palästinensischem Umfeld – zusammen eine vielfältige Sammlung von Eindrücken, die noch lange nachhallen werden.

Die Choreographie einer solchen Reise muss naturgemäß den Bogen breiter schlagen als es der Roman vorgibt, muss das Atmosphärische aus einer Zeit vor 3.000 Jahren genauso erfassen wie aktuelle Bezüge, die letztlich darauf historisch aufbauen. Abraham, Isaak und Jakob sind zu Stammvätern dreier Weltreligionen geworden, die um die Deutungshoheit kämpfen. Josephs Grab wird sowohl in Sichem/Nablus (der jüdischen Tradition folgend) als auch in Hebron (aus Sicht des Islam) verehrt – in Hebron teilen sich Muslims und Juden die alte Kreuzfahrerkirche mit den Grabmalen der Stammväter und -mütter. Ein Ort, an dem die komplexe Gemengelage des Nahen Ostens kulminiert, man spürt die Spannung förmlich.
Andere Orte mit alttestamentlichem Bezug sind da unproblematischer: der Berg Nebo in Jordanien zum Beispiel – von hier durfte Moses das verheißene Land sehen, bevor er starb. Jericho war damals schon wichtige Stadt, seine Mauern aus dieser Zeit sind bislang nur wenig erschlossen. Überhaupt: es gibt wenige Regionen, in denen die kulturelle Vielfalt über Jahrtausende so gut erfahrbar ist. Am intensivsten natürlich in Jerusalem mit dem Besuch der Klagemauer, aber auch des heute muslimischen Tempelbergs mit dem Felsendom und der Al Aqsa Moschee – dazu die Davidsstadt, der Ölberg, der Berg Zion – aber ebenso die Altstadt mit der Grabeskirche und der Gedenkstätte Yad Vashem.

Die Eindrücke in Israel sind vielschichtig, reichen vom „westlichen“ Tel Aviv mit seinen Bauhaus-Bauten über die Kibbuzim am See Genezareth und am Toten Meer bis zu den verwinkelten Vierteln der Jerusalemer Altstadt, durch die die orthodoxen Juden in ihren verschiedenen traditionellen Trachten am Vorabend des Sabbat zur Klagemauer eilen. Auch wir wurden Teil der auch von nicht-orthodoxen Juden praktizierten Sabbat-Liturgie: mit Sabbat-Wein und Gebet zum Essen am Freitagabend. Auch mit Eindrücken der Siedlungsbewegung und der inzwischen zahlreichen Siedlungen im Westjordanland – und mit Gesprächspartnern, die dies als Recht Israels betrachten, und anderen israelischen wie palästinensischen Vertretern, die den politischen Sprengstoff dieses Vorgehens sehen und dagegenhalten. Besonders interessant: ein Journalist und Schriftsteller schlug im Rahmen eines Vortrags für die Gruppe den Bogen zu Thomas Manns Josephsromanen und meinte, dass vielleicht gerade darin ein Schlüssel für die langfristige Befriedung der Region liegen könnte.

Die jüdische Geschichte und das kulturelle Erbe der Region würde ohne die Römer sehr viel anders aussehen: Caesarea, die Burg Antonia in Jerusalem, die Felsenfestung Massada – sie zeugen vom harten Griff aus Rom. Das Fischerboot am See Genezareth – ist es bei einer „Seeschlacht“ gegen die Römer gesunken? Orte wie Gerasa erinnern an die kulturelle Blüte, die man heute im gar nicht weit entfernten Palmyra nicht mehr bewundern kann. Der Hauptstadt Petra der Nabatäer aus der gleichen Zeit nähert man sich in besonderer Weise: ein langer Spaziergang führt durch eine Schlucht, die sich plötzlich zur Totenstadt hin öffnet – ein faszinierender Anblick in den vielfältigen Rottönen des Sandsteins.
Eine zentrale Erfahrung der Stammväter und Josephs ist die Wüstenerfahrung. Ein (ziemlich luxuriöses) Wüstencamp im Wadi Rum lässt diese Erfahrung ohne die Härten der damaligen Zeit erahnen. Die eindrucksvollen Sonnenauf- und -untergänge, die Bedeutung von Wasser, das so wenig es sein mag für grüne Tupfer – Bäume, Büsche – in der Wüste sorgt. Die Gespräche bei einem Tee in den Beduinen-Zelten, die Hedschas-Bahn. Der Film „Lawrence von Arabien“ vermittelt einen guten Eindruck – er wurde z. T. hier gedreht.

Dann das blaue, erstaunlich klare Wasser des Golfs von Aqaba mit seinen Korallenbänken – Ägypten ist zum Greifen nah, das nahe Eilat liegt bereits in Israel. Die Negev-Wüste: hier zogen die Karawanen durch nach Ägypten, am Rande, in Be‘ersheva, soll der einer Tradition nach der Brunnen gestanden haben, in den die Brüder Joseph warfen – von ihm ist in der modernen Großstadt nichts mehr erhalten. Es gibt aber Bergfestungen aus der Zeit, von denen aus der Blick wohl schweifen kann wie damals. Und es gibt den eindrucksvollen Ramon-„Krater“, ein Erosionskrater als Schutzgebiet für die Fauna der Negev.
Und Thomas Mann und sein Joseph? Sie waren uns während der ganzen Zeit Reisebegleiter. Mit Zitaten aus den Josephsromanen, mit Beiträgen von Prof. Borchmeyer, auf der Fahrt, vor Ort, beim abendlichen Treffen beim exzellenten israelischen Wein. Sie ließen uns die Landschaft mit besonderen, mit geschulten Augen sehen. Sie waren Gegenstand zahlreicher Gespräche in der Gruppe und mit unseren Gesprächspartnern vor Ort. Eine Reise, von der eine Mitreisende schrieb: „Viele, tief gehende neue Eindrücke, die mich noch lange beschäftigen werden.“

Juergen Lingnau

Weitere Informationen zur Reise finden Sie unter https://linguacultura.de/blog-details/israel_literatur17, allgemeine Informationen zu den Literaturreisen von Lingua & Cultura Tours unter www.linguacultura.de.

 

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