Aktuelles aus der Gesellschaft
Von Denkfiguren und Klischees. Eine Forschungsgeschichte zu Thomas Mann in Schlagworten
In ihrer 50jährigen Geschichte hat die Deutsche Thomas Mann-Gesellschaft erheblich dazu beigetragen, das Werk Thomas Manns besser zu verstehen, in Kontexte einzuordnen und neue Perspektiven zu eröffnen. So manche Interpretation hat sich dabei zu einem stehenden Begriff, zu einem Denkmuster verfestigt, auf die jede Forscherin und jeder Forscher zurückgreift und die jedem begeisterten Leser sofort auf der Zunge liegen. Doch bedeutet Forschung auch, einmal bezogene Positionen immer wieder zu hinterfragen und neu zu bestimmen. Die Große kommentierte Frankfurter Ausgabe, die inmitten der TMG entsteht, bietet die Texte in neuem Licht – und fordert die Forschung heraus, sie neu zu lesen und vielleicht auf neue Begriffe zu bringen. Der Kreis der jungen Thomas Mann-ForscherInnen fragte während der Herbsttagung in Lübeck nach einigen besonders wichtigen Begriffen und danach, ob sie noch immer gültige Denkfiguren abbilden oder aber zu Klischees geronnen sind, die den Blick auf das Werk des Autors eher verstellen als eröffnen.
Auf sechs Schlagworte konzentrierten sich die Vorträge des Kreises. In der ersten Sektion, die sich Thomas Manns Schreibweisen widmete, stellte Matthias Löwe (Jena) zunächst die vieldiskutierte Frage, ob Thomas Mann denn überhaupt ein moderner Schriftsteller sei und sich nicht vielleicht doch eher am bürgerlich-poetischen Realismus des 19. Jahrhunderts orientiere, also ein unzeitgemäßer Dichter sei. Löwe verwies auf die besondere Modernität Manns, die sich eben nicht in der von der germanistischen Literaturgeschichtsschreibung oftmals beschworenen avantgardistischen Sprachzertrümmerung zeige, sondern die Moderne mit ihren Wahrheitspluralismen ernst nehme. Der Vortrag von Jens Ewen (Jena) unterstützte diese Deutung, indem Manns Ironie als intellektuelle Haltung wie künstlerische Schreibweise vorgeführt wurde, die besonders geeignet ist, die miteinander konkurrierenden Deutungen von Wahrheit in der Moderne zu beschreiben. Regine Zeller (Mannheim) konzentrierte sich auf das Bild von Thomas Mann als eines autobiographischen Dichters, der vor allem das eigene Leben in Literatur umwandelt, und zeigte dabei deutlich, dass das Werk Manns viel stärker fiktional ist, als es der allzu simple Rückgriff auf die Biographie verstehen will.
Die zweite Sektion präsentierte Manns Begriffsstrategien. Gleich die wohl berühmteste, die Opposition von Künstler und Bürger, stand im Mittelpunkt des Vortrags von Frank Weiher (Düsseldorf). Deutlich wurde dabei, dass es keine Antithese ist, sondern dass Mann auf eine dialektische Synthese hinauswill, die gerade das Gegensätzliche zu einer höheren Einheit miteinander verschweißt. Der Vortrag über die republikanische Wende von Tim Lörke (Berlin) konnte zeigen, wie wenig sich Manns Einschätzung der Demokratie eigentlich ändert; nach der vermeintlichen Wende bleibt er skeptisch, aber vor der vermeintlichen Wende war er keineswegs ein Antidemokrat. Die Sektion wurde beschlossen von Bernd Hamacher (Hamburg), der über die Deutung der Goethe-imitatio sprach. Manns Goethe-Nachfolge orientiert sich dabei nicht allein an Goethe, sondern gerade auch an Goethe-Deutungen des frühen 20. Jahrhunderts, die wiederum Goethe gewissermaßen Mann annähern.
Auf diese Weise wurde auch die Forschungsgeschichte der Deutschen Thomas Mann-Gesellschaft deutlich, die seit je und immer weiter darum bemüht ist, die Texte Thomas Manns zum Sprechen zu bringen.